Segeln in Coronazeiten

auf der Peter von Seestermühe

Atlantik besonders

Natürlich gab es diese Momente des Zweifelns. Ein Schiff ausrüsten für acht Monate, die Crewlisten immer und immer wieder neu und mit vielen Fragezeichen zu schreiben, viele Fragen nur mit wenn, falls dann und vielleicht oder doch nicht zu beantworten, war nicht immer einfach. Dennoch hatte ich stets das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, was sich im Laufe der Reise dann auch immer wieder bestätigt hat.

Geplant haben wir so realistisch, dass ein Umkehren in Lissabon oder auf den Kanaren als Notlösung in Frage kam. So sind wir auch jetzt noch jederzeit in der Lage den Anker aufzuholen und umgehend nonstop nach Hause zu segeln. Nordsee und Biskaya gestalteten sich wie in Vor-Coronazeiten.

Biskaya
Biskaya

Als das Orkantief glücklich umsegelt war, tingelten wir mit minimalstem Landkontakt durch Galiziens Ankerbuchten, bis wir schließlich trotz Maske von unserem Lieblingswirt in Bayona erkannt und mit herzlichem Abstand auf seiner Terrasse bewirtet wurden.

Nach gemütlichen Tagen in Portugal hatten die Virusauflagen in Madeira erstmals Auswirkungen auf unsere Reise. Vor der überfüllten Marina in Funchal ankernd, ging ich morgens an Land zur Grenzpolizei, um problemlos einzuklarieren. Als wir nachmittags den uns zugewiesenen Liegeplatz ansteuern, fragt man uns beiläufig nach unseren Covid-Tests. Es gibt eine kurze, große Aufregung, an deren Ende wir wieder am Anker liegen und telefonisch einiges Obst und Gemüse bestellen, was wir mit dem Beiboot abholen dürfen. Am nächsten Morgen gehen wir Anker auf und sind wieder coronafrei auf See...

Madeira liegt achteraus
Madeira liegt achteraus

Auf den Kanaren angekommen, sind sie gerade von der Risikoliste gestrichen worden und wollen es auch bleiben. Schließlich leben hier 80% der Leute in Tourismusabhängigkeit. Wir zeigen uns solidarisch und tragen Maske, sobald wir das Boot verlassen. Das Altstadt-Tapas-Spektakel verkneifen wir uns, in der Sailors Bar ist mit der Hälfte der Tische als einzige Veränderung ansonsten alles beim Alten. Der Heimaturlaub des Kapitäns fällt coronabedingt aus. So verbringen wir zwei Wochen bei bestem Lackierwetter mit Schleifpapier, Pinsel und Siesta.

Es wird mit Schleifpapier und Pinsel gearbeitet
Es wird mit Schleifpapier und Pinsel gearbeitet

Dabei bildet sich eine freundschaftliche „Kohorte“ mit unserem Nachbarn Markus auf seiner „Montana“, sowie den Crews von „Albatros“ und „Yuna“. Alles langgesegelte oder getestet eingeflogene Leute, mit denen wir einige nette Abende verbringen.

Zeitgleich spitzt sich die Lage in Deutschland und Europa weiter zu. Ich werde täglich nervöser. Werden unsere Mitsegler kommen? Was, wenn die Hälfte oder mehr doch kalte Füße kriegen? Zwei befinden sich bereits in häuslicher Quarantäne, weil ein Arbeitskollege infiziert ist... Irgendwann nehme ich mir ein Herz und beginne, die Crew anzurufen. Nach den ersten drei Gesprächen Sind alle meine Zweifel verflogen. Alle sind guter Dinge, fast euphorisch, kommen sicher. „Komme, was da wolle.“


Deutlich merkt man im Hafen die Anspannung der Skipper, als in der Woche vor dem ARC-Start die Crews einfliegen (Unsere bringen alle einen Negativtest aus Deutschland mit). Am Dienstag sind wir komplett und halten uns unter uns. Immer wieder ermahne ich alle Landgänger zu Um- und Vorsicht, denn am Donnerstag -drei Tage vor dem Start- ist unser Testtermin. Nur wenn alle bestehen, können wir in St. Lucia einreisen und somit wirklich am Sonntag lossegeln.

Der Proviant ist teils verstaut, teils für Sonnabend bestellt. Wir verbringen die Tage meist an Bord. So viel Zeit für Einweisung und Trockenübungen war noch nie. Alle sind motiviert, zur Zeit dreht sich trotzdem alles nur um eins: Der Test am Donnerstag um 1300 Uhr! Als es soweit ist, geht es -vom ARC sehr gut organisiert- professionell und zügig von statten. Bis zum in 24 Stunden erwarteten Ergebnis, müssen wir uns an Bord aufhalten. Auslaufen dürfen wir. Somit nutzen wir den Nachmittag für unser Sicherheitstraining mit Segel- und Notmanövern.

Uwe wird von Bootsmann Maj an Bord geholt
Uwe wird von Bootsmann Maj an Bord geholt

Abends Ankern wir auf der Reede und genießen frische Luft und klares Wasser, sowie am nächsten Tag den ersten Sonnenaufgang „auf See“. Als wir am Freitagmittag wieder an unserem Liegeplatz festmachen, wird die Ergebnisverteilung zum Krimi. Per Funkdurchsage werden die Yachten alle halbe Stunde vertröstet, bis man nachmittags um fünf (!) die ARC-Mitarbeiter den Steg entlangkommen sieht. Bei zwei Yachten gibt es längere Diskussionen bei der Übergabe der Testergebnisse, wobei die Köpfe der Crews deutlich sichtbar herabsinken... Sie müssen sofort ablegen und draußen in Quarantäne ankern. Wir fühlen mit ihnen, trotzdem ist der Jubel bei uns groß, als wir die zehn grün gekennzeichneten Briefumschläge in der Hand halten. Steine fallen mir vom Herzen. Zur Feier des Tages setzen wir die Masken auf und gehen in die Sailors Bar.

Am Sonntag ist Flautenstart. Nachdem wir in einer Stunde keine Seemeile nach Süden gemacht haben, motoren wir eineinhalb Stunden aus der Flaute und segeln später unter Vollzeug in den spektakulären Sonnenuntergang.

Erster Sonnenuntergang der ARC
Erster Sonnenuntergang der ARC

Corona scheint lange vergessen, als uns ein nicht weniger aktuelles Thema live begegnet. Zwei Yachten melden Sichtungen von Flüchtlingsbooten. Wir selber sichten ebenfalls ein solches Boot. Nach Anweisung der Rettungsleitstelle in Gran Canaria, umkreisen wir das offenbar verlassene Boot, um sicherzustellen, dass niemand mehr an Bord ist. Ingesamt fünf solcher Boote werden in diesen Tagen gesichtet, mit denen jeweils zwanzig bis dreißig Flüchtlinge in die Weite des Atlantiks auslaufen. Mit der einzigen Hoffnung, die Schiffahrtsroute zu erreichen und gesehen zu werden. Wie groß muss ihre Not sein? Alle unsere Conronasorgen wirken dagegen als Wohlstandsproblem. Nachdenklich segeln wir mit gutem Wind in die zweite Nacht hinein.<

Unsere Mitteilung an die ARC Flotte:

Open fishing boat sighted in position 26 29,8N 17 33,8W at 1630UTC Nov.23th.
Length approximately 25ft. Very hight bow approximately 6ft.
Blue hull. Outboard Yamaha 15HP. No person on board.
Drifting approximately 1,5kn 270degrees magnetic.

As advised by MRCC Las Palmas, we investigated the inside visually, by circling the boat close by.
Time used until continuing on course to St. Lucia: 50 min.

Boats in vicinity informed by VHF.

SKIPPER
PETER von SEESTERMÜHE

++++

Gut kommen wir voran in den ersten Tagen, fangen auch gelegentlich einen Mahi Mahi und feiern schon nach gut einer Woche unser Bergfest.

Bergfest - die Hälfte der Strecke ist geschafft
Bergfest - die Hälfte der Strecke ist geschafft

 Mittlerweile etabliert sich vor uns ein Flautengebiet. Wie so oft auf dieser Strecke liegt das Glück, wenn überhaupt, im Süden. Entsprechend ändern wir den Kurs und finden in den nächsten zehn Tagen, wenn auch wenig, so doch immer genug Wind, um etwas Fahrt zu machen. Unser Vorsprung schrumpft dahin, da die meisten anderen Schiffe motoren. An Bord sind wir uns einig: wir segeln gerne, also je länger es dauert, desto besser. Natürlich soll nichts verschenkt werden und so wird eifrig Spi gesegelt. Immer nach dem Motto der „Männerwache“, die stets bemüht war: „...möglichst tief an der Windkante zu steuern, dabei immer immer im Auge behaltend, dass ein zehn Grad höherer Kurs nur zwei Prozent mehr Weg kostet, der Kurs nicht in Stein gemeißelt- und der Wind ein Naturprodukt ist“.

Das Geheimnis unseres Sieges, Frauenpower oder die richtige Ballastverteilung?
Das Geheimnis unseres Sieges, Frauenpower oder die richtige Ballastverteilung?

Um beim Coronasegeln zu bleiben, in St. Lucia werden während unserer Reise die Regeln verschärft. Nach dem Zieleinlauf verbringen wir unseren (sehr lustigen) ersten Abend am Quarantänesteg gemeinsam mit anderen Yachten.

Ankunft in St Lucia im Sonnenaufgang
Ankunft in St Lucia im Sonnenaufgang

Am frühen Morgen dann bereits die negativen Ergebnisse des gestrigen Tests und wir sind frei.
St. Lucia im Lockdown bedeutet wie bei uns, Kneipen und Restaurants sind zu. Es gibt nur außer Haus Verkauf und Lieferung an Bord. Ja, auch Getränke an den Quarantänesteg. Nun kann man sich also Essen und Trinken abholen und darf beides unter freiem Himmel verzehren. Wenn das Restaurant so wie das „Spinnakers“ an den Strand grenzt, auf dem Strand zufällig einige Tische stehen, sich dort -weniger zufällig- einige befreundete (doppelt getestete und quarantänisierte) Crews treffen, hat dieser letzte Abend unserer Reise auf jeden Fall das Potential legendär zu werden...

Mein ganz persönlicher Dank geht an alle Mitsegler, die mir in diesen schwierigen Zeiten ihr Vertrauen geschenkt haben.

Christoph von Reibnitz